„Sichtbar gemacht“
pfingstART 2017 // Kulturkeller am Weizberg
1.
(…) In ihrer Ausstellung hier: „Sichtbar gemacht“ nimmt Edith Temmel Bezug auf Paul Klee und seinem bekannten ersten Satz: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wider, sondern macht sichtbar.“ Es ging Klee um die Sichtbarmachung einer inneren Welt.
Edith Temmel geht es mit ihrem Zyklus nicht um die Sichtbarmachung eines psychischen Zustandes, sondern um die Erinnerung an Geschundenes, an Verstorbenes, an Gequältes, an Erschlagenes, an Erschossenes, an Verhungertes, an Verbranntes, Vergastes. Um Erinnerung an ein für „unwert“ erachtetes Leben.
Die Malerin hüllt es, transparent, in helle, lebensfrohe Farben. Legt ein „Velum“ der Pietät über die anatomischen Zeichnungen, – über die „Präperation im Bereiche der Außenseite der ventrolateralen Bauchwand“ oder der „Eröffnung des lumbosacralen Abschnittes des Wirbelkanales von rückwärts her, oder…
Abgezeichnet und beschriftet wurden die Organe des „unwerten“ Lebens 1943 in der Universität in Wien. Kein Wehrmachtsoffizier auf dem Seziertisch in der Morgue, – KZ-Insassen. Aus der Baracke, von der Richtstätte auf den Seziertisch zur anatomischen Verwertung.
2.
Im 19. Jahrhundert waren wissenschaftliche Theorien en vogue, die den Versuch einer Kategorisierung des Menschen darstellten. Es waren leidenschaftliche Bemühungen, von körperlichen Merkmalen direkte Rückschlüsse auf das Geistige – auf den Charakter – zu ziehen, um den Menschen berechenbarer zu machen.
Mit der „Tätertypenlehre“ des italienischen Mediziners Cesare Lombroso glaubte man einen Verbrecher schon am links betonten Gang erkennen zu können.
„Ziemlich schräg! – „Il Signore.“
Aber Irrtum: Seine Forschungen waren um 1850 methodisch und theoretisch auf dem neuesten Stand. – Die Folge solcher Hypothesen: Damalige „Bevölkerungspolitiker“ sahen in den neuesten Entdeckungen eine Chance: -Die drohende „Degeneration“ der Menschheit, vor der viele „Katastrophen-Propheten“ warnten, könnte aufgehalten werden.
Alkoholismus und Faulheit, Kriminalität und Epilepsie, Promiskuität und Homosexualität würden verschwinden. Kranke, Minderwertige „Rassen“ –
„No – Caro Cesare Lombardo – das war 1933 – millenovecentotrentatre! – Schon nach Ihrer Zeit!”
„Sie hätten nämlich selbst Opfer werden können! – Caro Dottore, sie hätten der Rassenhygiene jener Zeit nicht ganz entsprochen!“
3.
Da trat nämlich Professor Eduard Pernkopf an, die Medizin in Wien grundlegend zu ändern. Mit den Nazis – zum Dekan, Rektor gewählt – kam modernste Genetik an Österreichs Universitäten. In Wien sollte das rassenbiologische Institut helfen, den Volkskörper zu pflegen. Kein Blut an den Händen. Zwar gut „vernetzt“, aber bei weitem nicht der „Schlimmste“.
„Ein österreichisches Schicksal! Sozusagen!“
Eduard Pernkopf wurde 1945 als „belastet“ vom Dienst suspendiert und 1949 pensioniert. Er durfte zwar nicht mehr unterrichten, arbeitete aber am medizinischen Institut in Wien weiter an seinem anatomischen Atlas. Der „Pernkopf-Atlas“. Galt bis in die 90er Jahre als Standardwerk. Noch heute finden sich zahlreiche Abbildungen in Anatomielehrbüchern auf der ganzen Welt. (Illustrator Erich Lepier, der so gerne mit dem Hakenkreuz firmierte.) Erst in den späten Neunzigern wurde bekannt, dass Pernkopf seine erstaunlich genauen Zeichnungen – Zeichnungen(!) – anfertigte, nachdem er Leichen von im Nationalsozialismus Hingerichteten seziert hatte. Oftmals Widerstandskämpfer und einige Juden.
„Aber bitte! Eine Randnotiz im Vergleich! Tatsache: Auch an seinen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen gesunden wir noch heute.“
„Und er? Il professore viennese? E morto? – Starb 1955! – 67 Jahre alt.”
Und die Opfer?
Die Künstlerin Edith Temmel, verwandelt die “Topografische Anatomie des Menschen” in rafiniert übermalte Bilder, um sie malerisch wieder zum Leben zu erwecken, – “aus der Original Vorlage wieder Körperhaftes, Lebendiges erahnen zu lassen”, wie die Künstlerin sagt.
Im Tafelbild “Velum” umhüllt sie das “Leichenmaterial”, verbindet die Zeichnung des offenen Organs einer sogenannten “Freileiche” mit Mullbinden, als könne diese berührende künstlerische Handlung den Schmerz im nachhinein noch lindern.
So, als könne man Trost im Entsetzen finden.
(Zitat: Ein gesprochener Einführungstext von Walter Kratner)
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