GEDENKREDE FÜR WALTER KRATNER

Taborkirche, 16. Mai 2023

Johannes Rauchenberger

NON FUI. FUI. NON SUM. NON CURO.

Was wird (einmal) auf unserem Grabstein stehen? Was soll dort stehen? Nur unsere Lebensdaten? Von „Von“ bis „Bis“? Menschen zu erinnern ist eine Geste menschlicher Kultur. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten radikal geändert. Viele wollen gar nicht mehr erst erinnert werden. Die Anonymität von Bestattungen hat radikal zugenommen.

Walter Kratner ist nicht mehr. Was wird, was soll auf seinem Grabstein stehen?


Vielleicht ist die Frage jetzt zu schnell gestellt, heute am Tag seiner Verabschiedung. Es sind erst – oder schon – sechs Wochen her, dass uns am 5. April 2023 sein plötzlicher Tod ereilt hat; er geschah mitten im Aufbau einer Kunstinstallation in der so genannten „Kunsthalle Graz“. Und sie hieß: „Lampedusa“. Eigentlich acht Jahre, für manche, sensible Menschen vielleicht 10, 15 Jahre, nachdem diese Insel am südlichsten Zipfel Italiens überhaupt erst in unseren Sprachschatz Eingang gefunden hat, kennen wir diese Insel: „Lampedusa“.


Die Skulptur eines fragmentiert nachgebildeten Bootes war seit 2015 in immer wieder neuen Adaptionen an mehreren Orten zu sehen, auch in der Weizbergkirche. Heute hat man sie im Kulturkeller aufgestellt, dazu einen Film. In Form einer Installation im Raum verweist Lampedusa auf die vermeintlich rettende Insel im Mittelmeer, Hoffnung und Ziel tausender Flüchtlinge in Erwartung menschenwürdiger Lebensbedingungen. Heinz Trenczak, der mit „3000 Semmeln“ einen berührenden Film aus dieser Zeit der so genannten „Flüchtlingskrise“ gestaltet hat – bei der gerade die „Weizer Pfingstvision“ so leuchtturmartig in der Aufnahme von Flüchtlingen vorgegangen ist, – hat in seiner Betroffenheit zum plötzlichen Tod von Walter Kratner folgendes Gedicht „gepostet“, sozusagen einen virtuellen „Chat“ zwischen Mutter und Sohn:

„Und hast du die Decke mitgenommen, mein Sohn,die Decke aus roter Wolle?
Ich hab sie für dich gewebt, mein Sohn, dort im Norden sind kalte Nächte.

Ja, Mutter, ich habe die Decke mit, die Decke aus roter Wolle.Wenn sie mich einhüllt, denk ich an dich und wie du mich immer gewärmt hast.

Und hast du die Dollars mit, mein Sohn, die Dollars in kleinen Scheinen?
Ich hab sie für dich verdient, mein Sohn, mit Putzen und Waschen für Fremde.

Ja Mutter, ich habe die Dollars noch, die Dollars in kleinen Scheinen. Ich hab sie ins Jackenfutter genäht, direkt über meinem Herzen.

Und hast du ein Heim gefunden, mein Sohn, ein Haus, einen sicheren Hafen?
Hast du einen Platz, wo du bleiben kannst ohne Furcht vor Hunger und Feinden?

Ja Mutter, ich habe ein Heim gefunden, hier werd ich für immer bleiben. Auf dem Grund des Meeres da liegt es sich ruhig ohne Furcht vor Hunger und Feinden.“


Auch Walter Kratner hat bei seiner Mutter gelebt, bis zum Schluss. Zwei Monate vorher erst ist sie gestorben. Er war ein Kind des so genannten Proletariats. Ging weit hinaus in die Welt, nach Florenz, studierte dort Kunstgeschichte und Design, die dortige Arte Povera Szene faszinierte ihn nachhaltig. Später ging er in die Schweiz, war Journalist bei der NZZ, ging nach Amerika, nach San Francisco. Sein Leben war eigentlich in der weiten Welt, der Mutter wegen war er in Weiz.


„Bin nicht gewesen, bin gewesen, bin nicht mehr, keine Sorge.“

So lautet die einfache Übersetzung der paar lateinischen Wörter, mit denen ich diese Würdigung für Walter Kratner begonnen habe. Die kurzen Sätze sind einer römischen Grabinschrift entnommen, der Philosoph Hans Blumenberg hat sie mehrfach „ausgegraben“, von ihm stammt auch die Übersetzung. „Bin nicht gewesen, bin gewesen, bin nicht mehr, keine Sorge.“ Auf dem Stein stehen nur die Anfangsbuchstaben: N F F N S N C. Was dann eben ausgeschrieben heißt: NON FUI. FUI. NON SUM. NON CURO.


Ich möchte sie, die eine so uralte Form des Memento Mori bilden, ihm heute widmen. Walter liebte ja das Alte so sehr. Die Klachlsuppe zum Beispiel. Das Verschwundene. So oder so.


Wir können es fast immer nicht glauben, dass Walter Kratner nicht mehr IST.


„Bin nicht gewesen…“
Vor 1954 ist Walter Kratner nicht gewesen. Viel aber, von dem seine Kunst handelt, war da schon längst da gewesen.Ich habe Walter Kratner näher erst 2004 oder 2005 kennengelernt, wo er eine Publikation gestaltet hat, zu dem ich den Text verfasst hatte: „weizbergs samt. kunst am spirituellen weg“ lautete der Titel. Er war der Herausgeber und der Grafiker. Im Namen der „weizer pfingstvision“. (Bei ihm wurde alles klein geschrieben.) Er hatte damals gleiche Schwingungen zu mir ausgemacht, wie er es – wie die so zahlreichen „Gedächtnisse“ in den Medien und in den sozialen Netzwerken in den letzten Wochen gezeigt haben – zu vielen von uns auszumachen im Stande war. Besonders gefiel ihm damals an dieser Publikation, wie ich mich daran erinnerte, wie wir als kleine Hauptschüler Groschenstücke in die Schienen der Kapruner-Generator-Straße legten, die sich dann zu länglichen Formen auswalzten.


Das Cover dieses kleinen Büchleins zeigt freilich ein Kunstwerk von ihm. Ein „Schwebebalken“, wie man ihn bis heute kennt. Bis 2003 hatte Karl Prantl, einer der größten österreichischen Bildhauer der Nachkriegszeit, für die Allee am Weizberg in einer großzügigen Geste einen seiner tonnenschweren „Steine zur Meditation“ als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Es war der Sog der „Weizer Pfingstvision“, diesem Ort des Aufbruchs für eine mögliche neue Kirche der späten 1990er und frühen 2000er Jahre, die auch Prantl bewogen hatte, ein großes Kunstwerk für diesen wunderbaren Ort zur Verfügung zu stellen. Prantl damals in einem persönlichen Gespräch zu Walter Kratner: „Der Stein wird auch zu Erde, wird zu Staub, aber um diese Dimension geht es mir.“


Das sind freilich andere Zeitmessungen.


An diese Stelle also, wo Prantls großer Meditationsstein geruht hatte, positionierte Walter Kratner einen Jahrhunderte alten maroden Pressbaum. Dieser diente dem Künstler ebenfalls als Mahnmal für Vergänglichkeit. Wo er gesprungen war, wo er Hohlräume hatte, füllte ihn der Künstler mit Zinn aus und hatte so ein verzweigtes Netz seiner Existenz gegossen. Nach mühsamer Restauration wurde er auf zwei Glastafeln gebettet und wieder der Natur überlassen. Zwischen alten Birnenbäumen schärfte er die Wahrnehmung des Natur-Szenarios und legte einen zentralen Ort meditativer Ruhe. Ein Jahr, 2005, schwebte er so. Eines Nachts wollte man diesen Balken zu Fall bringen. Doch er schwebte weiter, seit 2006 auf zersplitterten Trägern aus Glas.


Die erste Spur von Walter Kratners Interventionen am Weizberg führt uns ins Jahr 2001: Denneinige Schritte weiter wurde, nahe an der Weizbergkirche, 2001 eine beinahe sinnlose Anlage kurz vor dem Einsturz gerettet. Die barocke Kegelbahn. Sie soll einst, so die Chronik, 17 Weizer Kaplänen zum Zeitvertreib gedient haben. Kratner setzte zwei geometrische Körper, Sphäre und Kubus, in Form von schlagender Einfachheit aus Serpentinen gearbeitet, auf die jeweiligen Enden der Bahn. In ihrer kargen und linearen Gestaltungsweise sind sie Zeichen für Bewegung und Stillstand, Ruhen und Rollen. Dieses Verhältnis ist gerade auch der Kirche auf diesem Berg eingeschrieben.


Aber Walter Kratner denkt dieses Verhältnis immer auch politisch, bis zum Schluss. Er starb eigentlich mit dem Appell, doch die Entrechteten, die Geflüchteten, die Geschundenen nicht zu vergessen. Walter Kratners Appelle sind in diese Stadt eingeschrieben. Vielfach.


Wenn man den Weg vom Friedhof zur Weizbergkirche die Kegelbahn auf der Rechten hat, so gibt es auch ein Kunstwerk auf der Linken: Denn man wird an der Mauer nicht vorbei gehen können, ohne ein zerbrochenes Wagenrad zu sehen: Es ist das Denkmal für die ermordeten Roma und Sinti, das Walter Kratner 2012 realisiert hat. Weiz ist somit eine der wenigen Städte überhaupt (oder ist es der einzige Ort überhaupt?), das ein Denkmal für Roma und Sinti, die von den Nationalsozialisten ebenso ermordet worden waren, von deren Tod aber niemand sprach. Gerade das war Walter Kratner, wie er sich in diese Stadt eingeschrieben hat. Das Mahnmal „PORAJMOS“ nennt die nationalsozialistischen Verbrechen an Sinti und Roma Völkermord. Sie sind aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen der planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt wurden wie an den Juden. Das Mahnmal am Weizberg, so Walter Kratner damals, sei eine Geste an die Opfergeneration. Wir kennen das berühmte Bild zum Eingang ins KZ von Auschwitz. Es zeigt Schienen und hinten das Gebäude. Dieses Mahnmal von Walter Kratner zeigt die zerbrochene Radachse eines Güterwaggons als Sinnbild für Deportation und Genozid. Die Erinnerungsthematik wurde ergänzt durch die Schrifttafel „PORAJMOS“. Der Begriff bedeutet in der Sprache der Roma und Sinti das Verschlingen. In der kleinen Stadt Weiz in Österreich wurde still und unaufgeregt 2012 etwas geschaffen, was in seiner Klarheit, Berechtigung und gedanklichen Konsequenz weder langjähriger Diskurse noch irgendwelcher Kompromisse bedurfte. Die Errichtung des Mahnmals war auf Anstoß der Romakünstlerin Cea Stoica entstanden. 1933 in einem Dorfgasthaus in der Steiermark geboren, wurde sie 1943 in die Konzentrationslager Auschwitz, Ravensburg und Bergen-Belsen deportiert. Cea Stoica überlebte die Todeslager. Mit ihrem Buch „Wir leben im Verborgenen“, hatte sie 1988 maßgeblich Anteil, dass der Genozid an Roma und Sinti endlich öffentlich gemacht wurde. Sie verstarb 2013 in Wien.


Gedächtniskunst ist Kunst für heute.
Denn der Virus von Hass und Missgunst, von Sündenbock und Ausgrenzung ist nicht ausgelöscht, im Gegenteil. Walter Kratner hat zu diesem Kunstwerk aus dem Jahr 2012 im Nachhinein Zitate beigelegt: Juli 2015: „Sobald wir die Regierung bilden, wird die Polizei freien Einsatz beim Säubern der Stadt haben. Die unsere wird eine ethnisch kontrollierte und finanzierte Säuberung sein.“ Zitat Matteo Salvini auf Twitter, Juli 2015. Ein weiteres: „Mit einer Vorankündigung von sechs Monaten werde ich alle Roma-Camps dem Erdboden gleich machen und verkünde jetzt schon La Ruspa den Bagger-Einsatz“. Zitat Salvini auf Twitter April 2015. Und schließlich: „Und ich sage Danke an meinen lieben Freund Innenminister Salvini, der in kurzer Zeit, ähnlich wie auch wir hier in Österreich, gezeigt hat, wie rasch man positive Veränderungen umsetzen kann, wenn man will.“ Zitat Vizekanzler der Republik Österreich HC Strache Wien 2018. Jene von Herbert Kickl anno 2022 oder 23 haben Sie selbst im Ohr!


Ja, auch das war Walter Kratner. Und es ist, glaube ich, in seinem Sinne, wenn wir an seinem Totengedenken warnend solche Sätze öffentlich wiederholen. Walter Kratner hat sich mit dem „Davor“ und dem „Danach“ künstlerisch intensiv beschäftigt. Im Jahr 2005 bin ich Walter näher begegnet; ich habe ihn in Graz bei den Minoriten auch zum ersten Mal ausgestellt, in einer damals noch möglichen künstlerischen Intervention im Stiegenaufgang zum barocken Minoritensaal. Es war eine Ausstellungsserie, die der ebenfalls schon verstorbene Weizer Künstler Josef Taucher angeregt hatte: „Cumulus Kunst – vor Ort.“

Kratners Titel seiner Ausstellung lautete damals: „Der Auftrag. Gesten der Macht. Entfernte Nähe.“ Es waren an den hohen Wänden des barocken Raums sechs dunklen Bilder zu sehen, auf denen Adolf Hitler zu erkennen war. Sie waren eingeschwärzt mit Asche. Kratner verwendete für die großen Wände Heinrich Hoffmanns berühmte Fotostudien von 1927, die Hitler gewissermaßen beim Training zeigen. In Posen, die heute hohl wirken, aber vor 70 Jahren unendlich wirksam waren. Es waren die Posen des „Davor“. Heinrich Hoffmann war später der ausschließliche Leibfotograf Hitlers. In einer Serie von Bildern agierte dieser vor der Kamera als Redner. Eine Auswahl der Fotos wurde damals sogar als Postkarte veröffentlicht. Viele der Ablichtungen nutzte Hitler gezielt, um erfolgreich publikumswirksame Gesten einzustudieren. Ein weiteres Tableau von geschwärzten Bildern zeigte Auschwitz aus der Luft, jene Fabrik für die Vernichtung des ‚Anderen‘. Jeweils am Rand waren Sätze aus Paul Celans Todesfuge geschrieben, klein und beiläufig. Zwei Zeiten korrespondieren miteinander: 1927, die Zeit des „Täters“ vor seiner Machtergreifung und die Zeit des „Opfers“ (P. Celan) – als KZ-Überlebender – nach den Verbrennungsöfen. Die Kohleschicht auf der Leinwand machte als Membran Ungleichzeitiges gleichzeitig sichtbar.Walter Kratners Gedächtnisarbeit bei den Minoriten zum damaligen Gedankenjahr 2005 – 60 Jahre Kriegsende – blickte vor Hitler zurück – in die Zeit des Faschismus in Europa, in Deutschland, in Österreich. In die Zeit also, wo Massen einem Führer erlagen. Und in die Zeit, wo Massen systematisch, getaktet und geplant, Tausende pro Stunde, vergast und anschließend verbrannt worden waren.Doch das Verstörende seiner Installation damals im Stiegenaufgang zum Minoritensaal war schon der Titel: „Der Auftrag. Gesten der Macht. Entfernte Nähe.“


Anders gefragt: Was war die „entfernte Nähe“? Vielleicht braucht man Umwege, dies zu erkennen, einzusehen oder zu akzeptieren. In seiner Objektinstallation ließ Walter Kratner 1500 Meter Kabel durch den barocken Raum tasten, auf und ab, auf und ab, auf und ab. An einem der beiden Enden des so lang verlegten Kabels befand sich ein Stecker für den Strom, am anderen eine 60 Watt-Lampe, die wiederum neben dem prächtigen Luster hing, der von Erzherzog Johann stammte. Wie kontrastreich doch die Lampen inszeniert worden waren. Walter Kratner konfrontierte in seiner beeindruckenden Arbeit unterschiedliche „Gesten der Macht“, Nazi-Ikonografie mit barocker und mit franziskanischer, etwas, was sachlich nicht zusammenpasst. Oder zusammenpassen soll. Und er zeigte, wie Walter Titz damals schrieb, „wie sich Macht repräsentiert, was passieren kann, wenn Ideologie oder Religion mit tatsächlicher politischer Macht ausgestattet werden.


Walter Kratners Gedächtnisarbeit blickte nach Hitler nach vorne – in die fröhliche Ahnungslosigkeit heutiger Marionetten medialer Selbstproduktion. „Was kommt am besten an?“ „Wie inszeniere ich mich als Politiker am besten?“ Das sind grausige Fragen, die uns nur allzu bekannt sind. Kratner thematisierte sie bereits vor fast 20 Jahren.
Walter Kratner legte in seiner Kunst auch die gezielten Strategen dieses Denkens frei, die von Meinungsfrage zu Meinungsumfrage stärker werden in diesem Land. Von Vergessen, von denen ich noch vor zehn Jahren sprach, kann man nicht mehr reden. Die Bedrohung ist so ernst, dass ein mögliches Kippen der Gesellschaft und der Politik nicht mehr so unvorstellbar ist. Es gibt, wollte Kratner schon vor fast 20 Jahren sagen, ein „Davor“ und ein „Danach.“Walter Kraters Installationen und Objekte haben nicht nur viel mit „arte povera“, der so genannten „armen Kunst“, von der er sich in Italien inspirieren ließ, sondern immer auch viel mit subtiler und geformter Geschichts- und Gesellschaftskritik zu tun.


Kratner fand immer wieder Objekte, „die das tägliche Leben darstellen, aber zusätzlich auch Reflexionen zur eigenen Person des Betrachters oder zur politischen und sozialen Situation des Landes ermöglichen“, schrieb Janet Neiser schon im Jahr 2000 in der Neuen Presse in San Francisco.Das Gewürme aus Kabel an den Wänden las Kratner auch als unendliche Suche für die „blinden Utopien“, die den Gemäuern des Barocks anhaftet: Österreichs Geschichte, so Walter Kratner, „sei geprägt vom bedrückenden spanischen Hofzeremoniell wie durch die oftmaligen Machtrepräsentationen von Staat und Kirche“. Ich fand das damals etwas befremdlich, doch hatte er natürlich recht: Erzherzog Ferdinand II. von Innerösterreich, Sohn Karls II. und der Maria Anna von Bayern, der spätere Kaiser der Gegenreformation, hatte, neben den Eggenbergern, das Kloster der Minoriten tatsächlich finanziert.„Der Auftrag. Gesten der Macht – entfernte Nähe“ lautete also diese Ausstellung, die ihm sehr wichtig war. Wir fragen noch einmal: Welcher Auftrag? Welche Gesten der Macht? Und wer ist sich – trotz scheinbarer Entfernung – so nah? Man kann die Fragen stellen oder man kann sie nicht stellen! Walter Kratners Fragen gehen tief ins historische Gedächtnis von Institutionen, das sind hier: die Politik und die Kirche.
Über die Kirche, in der wir uns heute befinden, sagte der Künstler im ersten Kapitel seines Videos: „Klachlsuppe und Hochaltar“, wo er das Vergessene beschwört, die Klachlsuppe eben, aber auch den Barock, der aus dieser Stadt mit Ausnahme des Interieurs der beiden Kirchen, verschwunden sei: „Treten Sie ein durch die Jahrhunderte dieses Tabor-Kirchenhauses über dem Römerstein, durch das vormalige romanische Langhaus in das gotische Chorquadrat, vor das Fresko einer mittelalterlichen biblia pauperum. Zu sehen darauf, die verspätete Näherbringung wundersamer biblischer Geschehnisse, ein Comic aus dem 13. Jahrhundert. Also, pauper, arm. Arm waren immer die anderen, das betende, kniefallende Volk. Also wünschte man es in den Himmel, schickte es am liebsten für sich, stellvertretend, weit fort in den Tod. Die Ungläubigen wurden sicherheitshalber verbrannt. Asche zu Asche.“


Einspruch!
Hier in Weiz hat Walter Kratner eine andere Form von Kirche zu achten, zu respektieren und mitzugestalten gelernt, obwohl er ihr, wohl aus Überzeugung ob der vielen Geschichten des Missbrauchs von Macht und ihres historischen Auftrags, nicht angehörte. Er mit seiner Auffassung, wenn man ihm genau zuhörte, nicht hinter dem Berg, auch wenn er nach außen hin zu allen nett und höflich war. Er war jedenfalls, um es neudeutsch zu sagen, „kein member of the church.“ Die Kirche in Weiz aber – also: die so genannte „Pfingstvision“ – ließ ihn dennoch an zentraler Stelle gestaltend aktiv werden: Mehr als 20 Jahre war er der Kurator der Pfingst-Art am Weizberg. Die unterschiedlichsten Künstlerinnen und Künstler kamen, stellten aus, lasen aus ihrer Literatur, spielten Musik, diskutierten die Themen der Zeit. Und heute spielen sie für ihn – zu seinem Gedächtnis. Kratner hat für das kulturelle Leben in der Oststeiermark mit der Pfingst-Art jährlich eine hochqualitative Brandmark gesetzt.


Aber auch jenseits der Pfingstvision kam Walter Kratner an einer entscheidenden Stelle, nämlich hier, an diesem Ort, zum Zug: Die „Kirche“, institutioneller formuliert, „die Diözese Graz-Seckau“ hat ihn dann 2004 auch beauftragt, Altar und Ambo der alten Taborkirche zu gestalten. Genauso hat es Walter Kratner immer in seinen Kurzbiografien verlauten lassen: „2004 beauftragte ihn die Diözese Graz-Seckau…“ Mir kam diese Formulierung immer seltsam vor. Aber Kratner wiederholte sie immer wieder. Dieser institutionelle Auftrag war ihm offenbar sehr wichtig. Was hat er hier gemacht?Zunächst das so genannte „Vortragskreuz“: Er hat das historische Kuzifix vom alten Kreuz abgenommen und es zeitgenössisch 2004 auf Stahl und Glas geheftet: „Das gebrauchte Zitat eines längst museal gewordenen Corpus Christi in seiner sibyllinischen Überlieferung, also Arte povera“, sagt Kratner über dieses Kreuz. Unter dem Ambo: ein Feld aus Titan-Gusskegeln: Ein Materialfeld in Buchgröße unter dem Lesepult, „als hätte man dem Wort der Schrift jemals Bedeutung beigemessen“ – ein weiteres Zitat des Künstler über seine sakrale Möblierung hier in Weiz.


Glas bedeckt auch den Tisch des Altars, aber es wäre zu einfach, die Glasplatte als Tischplatte zu benennen. Der Tisch scheint auf den Boden gekippt, schwarzer Granit umgedreht. Wie verkehrt, sozusagen. Auf seiner auf den Boden drückenden Tischplatte sind Dornen gesät und mit Asche bedeckt. Der Künstler hat viel über Paul Celan nachgedacht. Der Altar dreht um, ist eine Plattform der Verwandlung.


„Wie leicht wird Erde sein! Wenn aus Musik erlöst/der Stein in Landflucht zieht.“ So hat Paul Celans poetische Partnerin Nelly Sachs in einem sehr bekannten Gedicht es ersehnt. Dort heißt es weiter: „Wenn Sternenhaftes schwand / mit einem Rosenkuss aus Nichts.“
Nun ist der Leichnam Walter Kratners selbst zur Asche geworden, seine Urne wurde heute Nachmittag zu Grabe getragen. Er, der so viel über Asche nachgedacht hat! Über Vergänglichkeit, über die Zeit, bevor er gewesen ist.
Walter Kratner ist nicht gewesen. NON FUIT.
Walter Kratner ist gewesen. FUIT.
Walter Kratner ist nicht mehr. NON EST.


Kann man auch “NON CURAT” auf seinen Grabstein schreiben?Der eine Teil der Antwort steht uns nicht zu. Was aber seine Anliegen angehen, die Gräuel des vergangenen Jahrhunderts nicht zu vergessen, jene der Gegenwart mit Widerstand zu begegnen und der Zukunft mit heller Aufmerksamkeit gegen Unrecht zu begegnen, dazu braucht er UNS. Diesen Auftrag sollten wir heute von seiner Asche aus mit